Jedes Jahr am 3. März ruft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den «Welttag des Hörens» aus. Der Aktionstag will auf die Bedeutung des Gehörs und die Auswirkungen von Hörverlust aufmerksam machen. Denn Hören ist der Schlüssel zu Lebensfreude, Kommunikation mit anderen Menschen und zur aktiven Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben. Julia Schopp, Inhaberin «Julia Schopp hören und erleben GmbH» sowie Vorstandmitglied von AKUSTIKA Schweizerischer Fachverband der Hörgeräteakustik, erklärt, wieso es wichtig ist auf sein Gehör zu achten.

Am 3. März ist Welttag des Hörens. Warum gibt es diesen Tag und was bedeutet er?
Julia Schopp: Der weltweite Aktionstag lenkt die globale Aufmerksamkeit auf die Prävention und Versorgung von Hörminderungen und die Bedeutung des Gehörs. Organisiert wird dieser Tag von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und diversen Experten, welche sich für eine gute Hörversorgung einsetzen. Jedes Jahr steht der Tag unter einem anderen Motto.
Die WHO stellt den Welttag 2025 unter das globale Motto «Changing mindsets: empower yourself to make ear and hearing care a reality for all!» Damit appelliert sie an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen, für die eigene Hörgesundheit vorzusorgen. Wie sensibilisiert ist die Bevölkerung bezüglich eines gesunden Gehörs?
Hier gibt es noch einen erheblichen Handlungsbedarf, daher möchten wir die Kampagne der WHO auch unterstützen. Weltweit leben 1.5 Milliarden Menschen mit einem gewissen Grad an Hörverlust. Das bedeutet, dass jeder fünfte Mensch betroffen ist. Aktuell tragen nur 17 Prozent der Menschen, die unter einem Hörverlust leiden, Hörsysteme (Statistik der WHO). Ein unbehandelter Hörverlust kann gravierende Auswirkungen haben, zum Beispiel auf die Sprachentwicklung von Kindern, die kognitive Entwicklung, schulische und berufliche Möglichkeiten, die psychische Gesundheit und zwischenmenschliche Beziehungen.
Im deutschsprachigen Raum steht der Welttag des Hörens 2025 unter dem Motto «Mehr verstehen, mehr erleben». Denn «Hören» ist weit mehr als nur das Wahrnehmen von Schall. Hören, Verstehen und Erleben stehen in direkter Verbindung miteinander. Wie sind hier die Zusammenhänge? Können Sie das kurz erklären?
Eigentlich kann man das Ohr als unser soziales Organ beschreiben, die Kommunikation mit unseren Mitmenschen findet überwiegend über die Lautsprache statt. Wir Menschen sind soziale Lebewesen und das Bedürfnis nach Gemeinschaft ist tief in unseren Strukturen verwurzelt. Durch eine Hörschwäche wird die Kommunikation gestört. Die Betroffenen meiden zunehmend soziale Kontakte und grosse Veranstaltungen, weil sie nicht mehr richtig teilhaben können. Dies führt zu Einsamkeit, Isolation, Erschöpfung und Depressionen. Dank moderner Hörsysteme haben bzw. hätten sie wieder die Möglichkeit am Leben teilzunehmen.
Studien weisen darüber hinaus auf einen Zusammenhang von unversorgtem Hörverlust und dem Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit hin. Wie sieht dieser Prozess konkret aus?
Das hängt mit unserer Gehirnentwicklung zusammen. Ein –wie ich finde – sehr einprägsamer Spruch ist: use it or lose it. Die Verbindungsstellen in unserem Gehirn, welche für den Austausch von Signalen verantwortlich sind, heissen Synapsen. Wenn unsere Synapsen in einen aktiven Schaltkreis eingebunden sind, werden sie gekräftigt. Werden sie nicht genutzt, dann werden sie schwächer und irgendwann beseitigt. Durch den Hörverlust bilden sich die Synapsen im auditorischen Cortex zurück und auch andere Hirnareale leiden unter der reduzierten Informationsflut.

Wie hängt ein Hörverlust mit Demenz zusammen?
Die Gefahr geht in erster Linie von einem unversorgten Hörverlust aus. Das Hörsystem ist eines der wichtigsten Instrumente zur Demenzvorsorge. Neben dem oben beschriebenen kognitiven Abbau sorgen auch die soziale Isolation und die Überanstrengung dazu, dass sich Hirnareale zurückbilden können.
Wie steht es mit der Hörgesundheit der Schweizer?
In der Schweiz sind ca. 1.3 Millionen Menschen von einem Hörverlust betroffen. Viele suchen sich erst fünf bis sieben Jahre nach Auftreten der ersten Hörverlustsymptome Hilfe. Es wäre schön, wenn wir die Menschen dazu bewegen könnten, sich früher an einen ORL-Arzt und/oder Hörakustiker zu wenden. Der Einstieg ist dann einfacher, da die Hörentwöhnung noch nicht so stark fortgeschritten ist und gesundheitliche Folgeerkrankungen könnten verringert, oder vermieden werden.
96 Prozent der Hörgeräte-Träger berichten laut Studie von einer höheren Lebensqualität, seitdem sie ihre Schwerhörigkeit haben versorgen lassen. Doch oft benötigt es einen langen Prozess, bis es so weit ist. Was macht den Gang zum Hörakustiker für die meisten Menschen so schwer. Wo liegt hier das Tabu?
Viele Menschen haben ein gewisses Stigma im Kopf, wenn es um Hörsysteme geht. Man assoziiert sie mit Alter und körperlichem Zerfall. Manche Betroffene schämen sich und haben Angst, dass das Hörsystem sichtbar ist und sie sich bezüglich ihrer Hörschwäche outen müssen. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass wir diese Barrieren abbauen können. Moderne Hörsysteme haben sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Es gibt sehr unauffällige Varianten, man kann aber auch ein optisches Statement in knalligen Farben setzen. Die Hörsysteme sind leistungsfähiger und bieten eine Vielzahl an Funktionen, die den Alltag der Träger erleichtern, wie zum Beispiel Bluetoothstreaming.
Schwerhörigkeit ist ein schleichender Prozess. Was sind erste Anzeichen einer Hörminderung bei sich und anderen?
Ein erstes Warnsignal ist es, wenn das Verstehen in lauten Umgebungen schwerfällt. Die Angehörigen nehmen den Betroffenen häufig als nicht aufmerksam wahr, sie müssen sich oft wiederholen, oder es kommt zu Missverständnissen. Der Fernseher wird immer lauter gedreht und man hört gewisse Geräusche nicht mehr, zum Beispiel das Vogelzwitschern oder das Grillenzirpen.
Wann ist ein Hörtest fällig?
Sobald eine der oben genannten Veränderungen auffällt, ist es sinnvoll, einen Hörtest durchführen zu lassen.
Wie sieht eine optimale aktive Vorsorge aus?
Gesunde Erwachsene ohne die oben genannten Symptome sollten alle fünf bis zehn Jahre einen Hörtest durchführen lassen. Ab dem 50 Lebensjahr würde ich einen dreijährigen Rhythmus empfehlen, da das Risiko einer Altersschwerhörigkeit steigt. Rund ein Drittel der Generation 60+ sind von einem altersbedingten Hörverlust betroffen. Bei den 80-Jährigen sind es bereits über 80 Prozent.
Auch nach der Erstanpassung bleibt der Hörakustiker ein enger Partner. Was macht einen guten Hörakustiker aus?
Ein guter Hörsystemakustiker verfügt mindestens über ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis und bildet sich regelmässig weiter. Er sollte über fundiertes Fachwissen und praxisorientierte Erfahrung in der Hörsystemanpassung verfügen. Da der Hörverlust für die Betroffenen häufig mit persönlichen und emotionalen Herausforderungen verbunden ist, ist es wichtig, dass der Hörakustiker einfühlsam und geduldig ist. Ein guter Hörakustiker nimmt sich Zeit, um den individuellen Hörbedarf zu ermitteln und die passenden Hörsysteme für den Kunden zu finden. Die Auswahl eines Hörsystems und die Eingewöhnung an das neue Hören können Wochen oder Monate in Anspruch nehmen. Ein kompetenter Hörakustiker begleitet den Kunden geduldig durch den Prozess, nimmt sich Zeit für Nachjustierungen und gibt wertvolle Tipps für die gewinnbringende Nutzung im Alltag. Wichtig ist auch, dass der Hörakustiker den Kunden über den Kauf hinweg betreut, indem er umfassende Serviceleistungen anbietet, wie zum Beispiel regelmässige Wartung und Anpassung der Hörsysteme.
Interview: Corinne Remund